Am Altmarkt in Plauen

Am Altmarkt in Plauen befindet sich am Alten Rathaus ein sehr schön restauriertes Uhrenensemble. Es besteht aus einer mechanischen Uhr und einer Sonnenuhr. Das folgende Foto entstand bei einem Spaziergang am 20.03.2022.

Die mechanische Renaissanceuhr und die Turmuhr am neuen Rathaus zeigen beide die Mitteleuropäische Zeit 13:45 Uhr an, die Sonnenuhr hingegen zeigt auf 13:26 Uhr.

Außerdem ist auf dem Schatten werfenden Polstab der Sonnenuhr eine kugelförmige Verdickung angebracht, deren elliptischer Schatten genau auf eine gerade verlaufende Linie des Zifferblattes der Sonnenuhr fällt. Diese Linie ist mit den Symbolen der Tierkreiszeichen Widder (links) und Waage (rechts) gekennzeichnet. Oberhalb dieser geraden Linie befindet sich eine gebogene Linie, die mit dem Symbol des Tierkreiszeichens Steinbock gekennzeichnet ist und unterhalb der geraden Linie ist eine weitere gebogene Linie gezeichnet, die mit dem Symbol des Tierkreiszeichens Krebs versehen ist. Am 21.3. ist Frühlingsanfang, d.h. die Sonne tritt in das Tierkreiszeichen Widder ein, und genau dies zeigt die Lage des Schattens der kleinen Kugel am Polstab an. Der Schatten dieser Kugel wird jeweils am Frühlingsanfang im Laufe des Tages genau der geraden Linie auf der Sonnenuhr folgen. Dasselbe wird er, sofern die Sonne scheint, auch am Herbstanfang tun, wenn die Sonne wieder den gleichen Tagbogen am Himmel beschreibt und Tag und Nacht gleich lang sind. Am Winteranfang steht die Sonne am niedrigsten am Himmel und hat den Wendekreis des Steinbocks (Wintersonnenwende) erreicht. Somit wird der Schatten der Kugel am Polstab der oberen gebogenen Linie folgen, und dementsprechend wird er am Sommeranfang der unteren Linie, dem Wendekreis des Krebses (Sommersonnenwende) folgen, wenn die Sonne im Jahreslauf am höchsten steht.

Soweit scheint alles korrekt zu sein. Aber was ist mit der Uhrzeit? Geht die Sonnenuhr falsch, weil man es im Jahr 1784 mit der Zeit noch nicht so genau nahm? Nein, natürlich nicht.

Die Sonnenuhr zeigt nicht unsere mitteleuropäische Zeit (MEZ), sondern die wahre Sonnenzeit genau auf dem Altmarkt in Plauen an. Das heißt, die Sonnenuhr zeigt immer 12 Uhr Mittags an, wenn die Sonne hier an diesem Ort genau im Süden, d.h. (fast) am höchsten steht, und teilt jeden Tag in 24 untereinander gleiche Stunden ein. Sie zeigt die sogenannte Wahre Ortszeit (WOZ) oder auch Wahre Sonnenzeit an.

Mit dem Aufkommen mechanischer Uhren, deren Zeiger sich mit konstanter Geschwindigkeit über das Zifferblatt bewegen, machte es sich dann „störend“ bemerkbar, dass die Sonne sich nicht mit gleichmäßiger Geschwindigkeit über den Himmel bewegt. Ursachen dafür sind die Neigung der Erdachse und die sich periodisch ändernde Umlaufgeschwindigkeit der Erde um die Sonne. Diese mechanischen Uhren zeigen die mittlere Ortszeit „MOZ“ oder auch Mittlere Sonnenzeit an.

In seinem Buch: „Die Sonnenuhr und ihre Theorie“ schreibt Jörg Meyer zur Einführung der mittleren Sonnenzeit: „Die Einführung der mittleren Sonnenzeit ging langsam, aber glatt vonstatten. Der Eingriff war nur gering. Doch fehlten auch hier nicht anfängliche Einwendungen, wie sie jede Neuerung hervorruft. Vom Januar 1780 an zeigten die Uhren in Genf mittlere Zeit; es folgten London 1792, Berlin 1810, Paris 1816 und Zürich 1832. Am Ende des 19. Jahrhunderts war die mittlere Ortszeit im allgemeinen Gebrauch. Im Amts-und Intelligenzblatt des Königlich Bayerischen Rhein-Kreises vom 4. März 1837 erläßt die bayerische Regierung die Anweisung:

  1. Zu sorgen, daß die Regulierung der öffentlichen Uhren in allen Städten und größeren Gemeinden nach der mittleren Zeit statt finde, und daß die an den Gemeinde-und Stiftungsgebäuden befindlichen etwa schadhaften Sonnen-Uhren hergestellt werden, um hienach von Zeit zu Zeit mit Hülfe der Tabelle die Räder-Uhren richten zu können.
  2. Die anderen Gemeinden, in welchen keine Sonnenuhren bestehen, und wo die Kenntnisse der Individuen, denen die Besorgung der öffentlichen Uhren obliegt, nicht hinreichen, den Sonnen-Mittag durch die Herstellung einer Mittagslinie zu bestimmen, an besonders zu bezeichnende benachbarte größere Gemeinden zu weisen, mit deren Uhren sie die ihrigen in Übereinstimmung zu halten haben.
  3. Den Beginn dieser Maßregeln auf den 15. April d. J. als auf den Tag festzusetzen, an welchem die Sonnenzeiten mit jenen der mittleren Zeit zusammentreffen.

Es folgt eine Instruction, in der die königliche Anweisung auf sehr verständliche Weise begründet wird (So etwas sollte man vielleicht heute auf ministerielle Erlasse übertragen, aber das Zeitalter der Aufklärung ist wohl vorüber!) sowie eine Tabelle zur Regulierung der Uhren nach mittlerer Zeit: Wenn die Sonne bei dem Bogen, welchen sie täglich am Himmel beschreibt, nahezu den höchsten Punkt über dem Horizont erreicht hat, und für uns genau im Süden steht, so nennt man diesen Augenblick Mittag, und zwar den wahren Mittag. Bis sie Tags darauf wieder in dieselbe Lage kömmt, verstreicht ein wahrer Sonnentag, und man teilt diesen bekanntlich in 24 Stunden, jede Stunde in 60 Minuten, usf. Dieses Zeitmaß nennt man die wahre Sonnenzeit. Nun aber dauert es nicht in allen Jahreszeiten gleich lang von einem wahren Mittag bis zum nächst darauf folgenden; daher die wahren Zeitstunden, nach gleichförmiger Zeit gemessen, bald länger bald kürzer sind. Unsere Räder-Uhren, welche allgemein zum Zeitmaß dienen, gehen, wenn sie gut gebaut sind, Jahr aus Jahr ein gleichmäßig fort, so daß jede Stunde, die sie zeigen, gleich lange dauert, und man ist nicht im Stande, eine Uhr zu machen, welche genau nach der oben bezeichneten wahren Sonnenzeit geht, daher denn beständig an allen Uhren gerichtet werden muß, um sie während einiger Zeit nahezu übereinstimmend mit der wahren Sonnenzeit gehen zu machen. Um diesen Übelstande abzuhelfen, hat man eine gleichförmige Zeit angenommen, die, mit dem Jahre nach gleicher Sonnenzeit gerechnet, gleich viele Tage, Stunden, Minuten usw. hat, wo aber jeder Tag, jede Stunde, jede Minute usw. gleich lange dauert. Diese Zeit nennt man die mittlere Sonnenzeit. Weil aber die wahren Tage, wie oben gesagt wurde, bald länger bald kürzer sind als die mittleren oder gleich langen Tage, so folgt daraus, daß die Räderuhren nicht zu allen Zeiten des Jahres übereinstimmend mit den Sonnen-Uhren gehen, die die wahre Zeit zeigen. Die Unterschiede werden aber nie größer, als circa eine Viertelstunde, um was die Sonnen-Uhren gegen Räder-Uhren zweimal im Jahre vor, und zweimal im Jahre nach gehen. In allen größeren Städten und Dörfern muß es demnach bis ins 19. Jahrhundert hinein Sonnenuhren gegeben haben. Wie sonst hätte man die Räderuhren stellen können? Abgesehen von den Universitätsstädten, in denen sicher die Astronomen die Zeit verwalteten.“

Der Unterschied zwischen wahrer und mittlerer Ortszeit wird Zeitgleichung genannt und kann bis zu 15 Minuten betragen. Das folgende Bild zeigt anstelle der oben erwähnten Tabelle die Zeitgleichung im Verlauf des Jahres 2022, beginnend am 1.01.2022.

Am 20.03.2022 betrug die Zeitgleichung ca. -7,5 Minuten.

Spätestens mit dem Aufkommen der Eisenbahn und der Notwendigkeit, Fahrpläne für weite Strecken zu erstellen, erwies es sich als unbequem, wenn an jedem Haltepunkt eine andere Uhrzeit galt, denn die Uhren zeigten die mittlere Ortszeit (mittlere Sonnenzeit an dem betreffenden Ort) an.

„In Zweibrücken, und so wird es auch in anderen Städten gewesen sein, versetzten die Eisenbahnuhren den Sonnenuhren den endgültigen Todesstoß. In einem Ratsprotokoll der Stadt Zweibrücken vom 10.8.1858 heißt es: Dem Uhrenrichter Bietz wird aufgegeben, die Kirchenuhren stets nach der Bahnuhr zu richten. Die Kirchenuhren dürfen gegenüber der Bahnuhr höchstens 4 Minuten vorgehen.“(Die Sonnenuhr und ihre Theorie von Jörg Meyer)

Daher wurden eine „Zentraluhr“ ausgewählt und Zeitzonen definiert, in denen alle mechanischen Uhren auf dieselbe Zeit, d.h. denselben Zeitunterschied zur Zentraluhr gestellt wurden. Als Zentraluhr bzw. Zentrale Zeitmessstelle wurde die Königliche Sternwarte in Greenwich bei London gewählt und deren mittlere Ortszeit (Greenwich Mean Time, GMT) als Zeitnormal definiert.

Die für den Altmarkt von Plauen dann geltende Mitteleuropäische Zeit (MEZ) ist GMT plus 1 Stunde, bzw. im Sommer GMT plus 2 Stunden, die mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ).

Innerhalb einer Stunde dreht sich die Erde um 360°/24 = 15°. Der Altmarkt von Plauen liegt 12,14° östlicher als die „Zentraluhr“ in Greenwich, also ist die MOZ = GMT + 48,6 Minuten = MEZ – 11,4 Minuten, d.h. die mittlere Ortszeit ist 11,4 Minuten früher als die von der mechanischen Rathausuhr angezeigte mitteleuropäische Zeit MEZ.

Gemeinsam mit der Zeitgleichung ergibt sich für den 20.03.2022 am Altmarkt in Plauen ein Zeitunterschied zwischen der Sonnenuhr und der Anzeige der mechanischen Uhr von ca.-11,4 Minuten -7,5 Minuten = -18,9 Minuten. Um diese Zeitdifferenz unterscheiden sich auch die Anzeigen der beiden Uhren auf dem obigen Foto. Also alles korrekt. Die Sonnenuhr zeigt die „richtige“ Wahre Ortszeit an.